Kinder, die im Grundschulalter nach Deutschland zugewandert sind und keine oder nur geringe Deutschkenntnisse haben, stehen unter Zeitdruck vor einer großen Herausforderung. Sie müssen eine Deutschklasse besuchen, wo nun neben der intensivierten Sprachförderung auch Werteerziehung und kulturelle Bildung erfolgt. Ziel ist, die Schülerinnen und Schüler innerhalb eines Schuljahres so vorzubereiten, dass sie anschließend dem Unterricht in einer Regelklasse der Jahrgangsstufe folgen können, in die Schulpflichtige gleichen Alters eingestuft sind. In Ausnahmefällen darf die Verweildauer auf zwei Jahre verlängert werden.
Dabei kommt es immer wieder vor, wenn auch relativ selten, dass die Kinder aufgrund ihres Alters der dritten oder vierten Jahrgangstufe zugeordnet werden, aber nichtalphabetisiert sind und nur im Zahlenraum bis 10 rechnen können. Gründe dafür sind oft schwere Erkrankungen, die einen Schulbesuch eine Zeit lang verhindert haben, jahrelanges Leben auf der Flucht aus den Kriegsgebieten oder ein hoher Förderbedarf aufgrund niedriger IQ-Werte. Die meisten Kinder schaffen erfolgreich den Sprung in die Regelklasse nach einem Jahr in der Deutschklasse. Aber die Heterogenität in einer Deutschklasse ist enorm: von der Hochbegabung bis zur geistigen Behinderung ist alles dabei, meistens ohne Schulbegleiter.
Gemeinsam mit meinen Kolleginnen, die ebenfalls eine Klassenleitung in einer Deutschklasse inne hatten, entwickelten wir ein dreistufiges schulinternes DAZ-Konzept, um der großen Heterogenität der Schüler sowie der ständigen Fluktuation gerecht zu werden.
Die Klassenbildung der 3. und 4. Klassen erfolgte demnacht jahrgangsgemischt und leistungdifferenziert. Je nach dem persönlichen Fortschritt, konnten die Schüler in die nächte Leistungsstufe oder gleich in die Regelklasse im Laufe des Schuljahres wechseln. Innerhalb der Klasse wurden ebenfalls Leistungsgruppen zwecks Differenzierung gebildet: Bären, Tiger und Löwen, was manchmal zur Folge hatte, dass man auch fünffach differenzieren dürfte, wenn plötzlich getigerte Bären oder getigerte Löwen aufgrund der Fortschritte auftauchten. Dank der Unterstützung durch Drittkräfte, konnten wir oft die Klasse in weitere Kleinstgruppen aufteilen und gezielt bestimmte Inhalte einüben bzw. vertiefen.
Aufteilung der Kinder in drei gemischte ¾ Klassen erfolgte nach folgenden Kriterien:
- Gruppe 1: Basics Absolute Sprachanfänger sowie Schüler, die nicht alphabetisiert sind. Wechsel in die Gruppe 2 ist erst nach der Beherrschung der folgenden Inhalten möglich:
- Grammatik: Präsens, Modalverben können/müssen/dürfen, Akkusativ
- Wortschatz: ca. 10-12 Wörter pro Wortfeld: Farben, Zahlen, Klassenzimmer, Schulsachen, Jahreszeiten-Monate-Wochentage, Gefühle, Körperteile, Kleidung, Lebensmittel
- Lesen und Schreiben: ggf. Alphabetisierung in einer gruppenübergreifenden Alpha-Schiene
- Gruppe 2: Medium:
- Schüler, die bereits Deutschvorkenntnisse haben
- Kinder aus der Gruppe1, die relativ schnell lernen
- Kinder, die im vorherigen Schuljahr im Frühjahr in die Deutschklasse kamen und deswegen die grundlegenden grammatikalischen Inhalte noch nicht gelernt haben
- Kinder, die im vorherigen Schuljahr alphabetisiert wurden, aber noch nicht sicher genug schreiben und lesen können bzw. allgemein relativ langsam lernen
- Wechsel in die Gruppe 3 ist erst nach der Beherrschung der folgenden Inhalten möglich:
- Grammatik: Dativ, Wortarten bestimmen (Nomen, Artikel, Pronomen, Verben, Adjektive, Präpositionen) Satzarten (Aussage- und Fragesätze), trennbare Verben, weitere Hilfsverben (sein/haben/sollen…)
- Wortschatz: 12-15 Wörter pro Wortfeld: Erweiterung des in der Gruppe 1 erlernten Wortschatzes (z.B. Körpergeräusche klatschen, stampfen) Operatoren (unterstreichen, markieren…), Uhrzeit bestimmen, Orientierung in der Stadt + Fahrzeuge, Tiere und Pflanzen, Lernkarten selbst erstellen können mit Google-Translator bzw. einem Wörterbuch
- Schreiben: Wortschatz zu Besonderheiten der Rechtschreibung (eu, äu, ei, ie), ordentlich in die Zeilen schreiben, einen Hefteintrag abschreiben bzw. gestalten können
- Lesen: Sinnerfassendes und flüssiges Lesen einfacher Texte
- Gruppe 3: Profis Schüler, die gut bzw. sehr schnell lernen und aufgrund deren Fortschritten bald in die Regelklasse wechseln könnten.
- Grammatik: Perfekt bilden, Adjektive steigern, Nebensätze bilden (weil, denn, dass…)
- Wortschatz:12-15 Wörter pro Wortfeld: Erweiterung des in der Gruppe 1&2 erlernten Wortschatzes (krank/gesund sein, Körperhygiene, Kleidung-Accessoire etc), Wohnung+Möbel, Hobbies+Berufe, Waldtiere
- Schreiben: Rechtschreibstrategien erkennen und anwenden (Auslautverhärtung, Wortfamilien, Doppelkonsonanten, Dehnungs-h), Aufsätze schreiben (Personenbeschreibung, Rätsel, Bildergeschichten)
- Lesen: sinnerfassendes, betontes und flüssiges Lesen anspruchsvoller Texte, Lesestrategien kennen und anwenden.
Unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit wurde eine klassenübergreifende sprachsensible Matheschiene eingeführt, die sich ebenfalls nach dem aktuellen Lernstand und dem jeweiligen Zahlenraum (20, 100, 1000, 1Mio+) richtete. Auch in diesem Fall wurden die Gruppen je nach dem Lernfortschritt bzw. Neuzugängen im Laufe des Schuljahres neu formiert oder der Schwerpunkt der Lerngruppe wurde geändert (z.B. anstatt von Addition und Subtraktion im ZR bis 100 waren die Einmaleins-Reihen dran).
Um die Fortschritte der Schüler transprarenter zu machen, entwickelten wir neben Zeugnisbemerkungen eine Check-Liste, in der wir die oben genannten Wortfelder/Themenbereiche sowie grammatikalischen Schwerpunkte auflisteten. Beim Wechsel in die nächste Gruppe wurden dort die Inhalte angekreuzt, die Kinder nun beherrschten. So konnten einerseits die Wissenslücken gezielt geschlossen werden, anderseits behielt man für die Differenzierungsvorbereitung einen besseren Überblick über den Lernstand.
Wir haben überwiegend positive Erfahrungen mit dem Konzept gesammelt. Da uns nun eine Klasse gestrichen wurde, können wir unser Konzept leider nicht weiter umsetzen. Wir würden uns aber freuen, wenn unsere Erfahrungen andere Lehrerkräfte inspierieren das Konzept zu erproben.